Zur Sache Hinrich Wilhelm Kopf: "Letzte Ehre verweigert"
In der Rubrik 'zur Sache' nimmt sich der Rundblick in seiner aktuellen Ausgabe der fragwürdigen Entehrung des ersten niedersächischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) an:
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Hinrich Wilhelm Kopf, 1948
(rb) Für die Landeshauptstadt Hannover ist der Fall Hinrich Wilhelm Kopf abgeschlossen. Die prominente Adresse des Landesparlaments ziert jetzt das Schild „Hannah-Arendt-Platz“. Der bisherige „Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz“ ist Geschichte. Das gilt auch für die Grundschule, die bislang den Namen des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten getragen hat.
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Nun wurde dem „roten Welfen“ auch die letzte Ehre entzogen: Das Ehrengrab auf dem Stöckener Friedhof. Es wird nun nicht mehr mit Blumen geschmückt, aber immerhin als so bedeutend eingestuft, dass es wenigstens nicht eingeebnet wird. Kopfs Partei der heutigen Generation hat ganze Arbeit geleistet.
Dennoch rumort es in der SPD. Vor allem die Genossen, die aufgrund ihres Alters noch „die Ehre“ hatten, den im Jahr 1962 verstorbenen früheren Landesvater persönlich kennengelernt oder gar unter ihm „gedient“ zu haben, können sich mit der Gnadenlosigkeit nicht abfinden, mit der der so hochverehrte Sozialdemokrat eingereiht wurde in die Phalanx der NS-Verbrecher.
Zu den Enttäuschten von den hannoverschen Entscheidungen zählt auch und besonders der frühere Landtagspräsident Horst Milde, der seinerseits Ehrungen seiner Parteifreunde abgelehnt hat, weil diese für diesen Affront gegenüber dem Andenken an den früheren Ministerpräsidenten die Hand gehoben oder ihm zumindest nicht widersprochen haben, statt solchen ehrverletzenden Anschuldigungen entschieden entgegenzutreten. Besonders empört ihn, dass eine einzige Quelle, die mittlerweile umstrittene Biografie der Politologin Teresa Nentwig aus dem Jahr 2013, gereicht hat, um Kopf um seinen guten Namen und die Ehre zu bringen.
Bestätigung für ihre treue Haltung zu Hinrich Wilhelm Kopf bekommen Milde und andere innerhalb und außerhalb der SPD durch historische Erkenntnisse aus Polen, die allerdings so neu auch nicht mehr sind bzw. schon bekannt waren, als Nentwig ihre Biografie veröffentlichte. Es handelt sich dabei um einen der schwerwiegendsten Vorwürfe an Kopf, er habe in seiner Zeit als Verwalter enteigneter jüdischer und polnischer Vermögenswerte (1939 bis 1943) im polnischen Czieschowa und Königshütte Friedhöfe geschändet, indem er die Grabsteine gleichsam „verscherbelt“ haben soll. Tatsächlich hatte Nentwig dafür nur eine Quelle, nach der Kopf den Verkauf dieser Grabsteine an seine Vorgesetzten gemeldet hat.
Tatsächlich ist nach anderen historischen Quellen aus Polen mittlerweile belegt, dass die betreffenden Friedhöfe den Krieg „unversehrt überstanden“ haben, wie die Norde Nordwest-Zeitung diesen Tagen erneut ausführlich berichtet. Als Beleg dient das Buch von Renate Skoczek vom Museum in Königshütte („Juden in Oberschlesien im 19. und 20. Jahrhundert“), nach deren Recherchen der dortige Friedhof erst 1954 im kommunistischen Polen zerstört worden ist. Bis dahin hätten dort noch etliche Begräbnisse stattgefunden. Die Grabsteine seien erst in den 60-er Jahren verkauft worden, und zwar von der örtlichen Stadtverwaltung.
Glaubt man Teresa Nentwig, wurde dieser Friedhof „vollständig von den Deutschen zerstört“. Für ihre Annahme, die Steine seien zum Straßenbau verwendet worden, gibt es ebenfalls keinen Beleg. Für die Schlüsse, die die NWZ daraus zieht, spricht einiges. Nämlich dass Kopf seine Vorgesetzten belogen haben könnte, etwa um den Friedhof vor der Zerstörung zu retten, so dass er ein Held und kein Schurke gewesen sein könnte. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Kritiker des Nentwig-Buches nun auch Zweifel an anderen Recherchen der Politikwissenschaftlerin hegen. So werde Kopfs eigene Verfolgung durch das NS-Regime nicht hinreichend beleuchtet und die Aussagen dankbarer jüdischer Zeugen über dessen hilfreiches Handeln in seiner Verwaltertätigkeit systematisch kleingeredet, heißt es.
Es ist allerdings kaum zu erwarten, dass die einmal beschlossene Tilgung des Namens Hinrich Wilhelm Kopf aus dem öffentlichen Raum in Hannover oder anderswo aufgrund neuer Erkenntnisse zurückgenommen wird. Dass er jeglicher Ehrung „nicht würdig“ ist, hat der verstorbene prominente Sozialdemokrat mit der brüchigen Biografie nun durch einen ein-stimmigen Beschluss des hannoverschen Kulturausschusses schwarz auf weiß.
Bei etlichen seiner Anhänger und auch unbeteiligten Beobachtern dieses Ausbruchs an politischer Korrektheit hinterlässt das weiterhin Wut und Trauer. [az]
Hinrich Wilhelm Kopf-Büste im Niedersächsischen Landtag
... nach der Entfernung
Feierliche Umbenennung der Landtags-Adresse in Hannah-Arendt-Platz bei strömendem Regen
"Hannah Arendt war gar keine so unumstrittene Persönlichkeit": Interview mit dem Niedersächsischen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Michael Fürst
Die Arbeiter* schafften es zeitlich nicht, zur Umbenennungsfeier auch am Gebäude noch die Bezeichnung 'Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz' zu entfernen
... was aber nachgeholt wurde.
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Quelle/Mit freundlicher Genehmigung: Rundblick, Ausgabe 114 v. 18.06.2015